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Artikel 9   Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit

Abs.1  Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch die Ausführung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.

Abs.2  Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.

 

vgl. auch Art. 14 StGG (Österreich)

vgl. auch Art. 63 Abs.2 StV von Saint Germain

vgl. auch Art. 10 GRC

 

Jede Maßnahme der Gesetzgebung und Vollziehung bewirkt einen Eingriff in dieses Grundrecht, die die geschützten Freiheiten verbietet oder ihre Ausübung hindert. Es kann sich dabei um positiven oder negativen religiösen Zwang handeln.

Zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen: Urteil des EGMR im Fall Dahlab vom 15.2.2001 und vom 29.6.2004 im Fall Leyla Sahin sowie EGMR vom 10.11.2005 (ÖJZ 2006, 424).

Die Frage, ob die Pflicht zur Anbringung eines Kreuzes in den Schulklassen diese Freiheit verletzt, ist strittig (in Österreich: § 2b ReligionsunterrichtsG und das Konkordat mit dem Vatikan BGBl. 273/1962 idF 289/1972).

Bejahend das so genannte Kruzifix-Erkenntnis des deutschen Bundesverfassungsgerichtshofes BverfGE 93,1.

 

 

Die neuere Rechtsprechung des EGMR zu diesem Grundrecht:

 

Folgero u.a. gegen Norwegen; Urteil der Grossen Kammer vom 29.6.2007

Verpflichtende Teilnahme an christlichem Religionsunterricht. Da eine Verletzung des Rechts auf Bildung nach Art. 2 des 1. ZP zur EMRK festgestellt wurde, ist es nicht notwendig, auch die Frage der Verletzung nach Art. 14 iVm Art. 8 und Art. 9 EMRK zu prüfen.

Zuspruch von € 70.000,-- für Kosten und Auslagen, kein Zuspruch einer gerechten Entschädigung an immateriellem Schaden, weil die Feststellung der Rechtsverletzung eine ausreichend gerechte Entschädigung für immateriellen Schaden darstellt.

 

Ivanova gegen Bulgarien; Urteil vom 12.4.2007; BeschwNr. 52.435/99

Verletzung der Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK durch Entlassung einer Angestellten einer staatlichen Schule wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nicht anerkannten Religionsgemeinschaft.

 

Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gegen Österreich; Urteil vom 31.7.2008, BeschwNr. 40.825/98

Verletzung des Art. 9 EMRK sowie dieses Artikels iVm Art. 14 EMRK

Die Wartezeit für die Anerkennung muss in einem angemessenen Rahmen gehalten werden.

Eine derart lange Wartezeit ist nur bei neuen bzw. relativ unbekannten Gruppen notwendig - Benachteiligung gegenüber anderen Gruppen.

 

Singh gegen Frankreich; Zulässigkeitsentscheidung vom 13.11.2008, BeschwNr. 24.479/07

Ausstellung eines Führerscheins nur aufgrund eines Fotos ohne Turban

Unzulässigkeit der Beschwerde, weil gesetzlich vorgesehen, Verfolgung eines legitimen Ziels (öffentliche Sicherheit) und auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig iSd Art. 9 Abs.2 EMRK, um den Fahrer zu identifizieren und sich über die Fahrerlaubnis zu vergewissern. Dies stellt überdies nur eine punktuelle Maßnahme dar - Eingriff gerechtfertigt und verhältnismäßig zum verfolgten Ziel.

Unzulässigkeit der Beschwerde.

 

Leela Föderkreis eV u.a. – BRD; Urteil vom 6.11.2008; Beschwerde-Nr. 58.911/00

Staatliche Warnung vor einer Religionsgemeinschaft

Keine Verletzung des Art. 9 EMRK (5:2 Stimmen). Der Eingriff war hier gerechtfertigt und auch zum verfolgten Ziel verhältnismäßig.

Die Ermächtigung zu solchen vorbeugenden Einschreiten des Staates ergibt sich auch aus der Verpflichtung nach Art. 1 EMRK, die Rechte und Freiheiten der ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen zu schützen, auch vor Eingriffen durch nichtstaatliche Einrichtungen.

Diese Maßnahmen haben kein Verbot bedeutet, den Glauben zum Ausdruck zu bringen, überdies hat das BVerfG in seinem Urteil die Verwendung gewisser Begriffe wie "schädlich" und "pseudoreligiös" verboten.

 

Kervanci + Dogru - Frankreich; Urteil vom 4.12.2008; BeschwNrn. 31.645/04 und 27.058/05

Keine Verletzung des Art. 9 EMRK (einstimmig) durch den Ausschluss vom Turnunterricht wegen Tragens eines Kopftuchs.

Dieser Eingriff in da Recht auf Religionsfreiheit war gesetzlich vorgesehen, verfolgte ein legitimes Ziel (Schutz der öffentlichen Ordnung sowie der Rechte und Freiheiten anderer) und war in einer demokratischen Gesellschaft auch notwendig (verhältnismäßig), diese Verbot war allein auf den Turnunterricht beschränkt. Der Ausschluss von der Schule durch das Schülerdisziplinarkomitee war als Sanktion (Strafe) nicht unangemessen; staatlicher Ermessensspielraum.

Bei diesem Ergebnis muss die Frage der Verletzung des Art. 2 des 1. ZP zur EMRK (Recht auf Bildung) nicht mehr geprüft werden.

 

 

E M R K

Art. 9

dr.postlmayr@aon.at

RA Dr. Postlmayr

 

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