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Artikel 4 EMRK:  Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit

 

Abs.1   Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.

Abs.2   Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.

Abs.3   Als "Zwangs- oder Pflichtarbeit" im Sinne dieses Artikels gilt nicht:

a) jede Arbeit, die normalerweise von einer Person verlangt wird, die unter den von Artikel 5 der vorliegenden Konvention vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder bedingt freigelassen worden ist;

b) jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige anstelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung;

c) jede Dienstleistung im Falle von Notständen und Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen,

d) jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört.

 

vgl. auch: Art. 12 und 12a GG der BRD

vgl. auch: Art. 5 der Grundrechte-Charta der EU

vgl. auch: Art. 7 StGG (österr. Staatsgrundgesetz 1867)

Sklaverei und Zwangsarbeit hat eine lange geschichtliche Tradition.

Beginnend mit der antiken „Schuldsklaverei“ über die Versklavung von Kriegsgefangenen bis zum heute praktizierten Menschenhandel samt Zwangsprostitution und der Rekrutierung von Kindersoldaten.

Begrifflich versteht man unter einem Sklaven einen seiner persönlichen Freiheit beraubten Menschen, der als Sache behandelt wird und keine Verfügungsgewalt über sich selbst hat.

Die Art. 12 und 12a GG entstammen den Erfahrungen mit den Nationalsozialismus.

Im Gegensatz zu Art. 5 Abs.3 der GRC enthält weder die EMRK noch das GG der BRD ein Ausdrückliches Verbot des Menschenhandels (beachte aber die Bestimmungen des Strafrechts).

Art. 4 EMRK hat in der Spruchpraxis des EGMR sehr geringe Bedeutung.

Die EKMR hat sich an der Verpflichtung 15 und 16jähriger zum Militärdienst in England nicht gestoßen, weil die bei unter 17jährigen ohnehin nur mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten möglich war, welche vorlag ((EKMR YB 11, 562).

Unzulässigkeit der Beschwerden hat der Gerichtshof betreffend ausstehende Lohnzahlungen von ukrainischen Arbeitern angenommen und diese Ansprüche als solche des Art. 6 EMRK qualifiziert. (Fälle Dolgow und Vasilenkow gegen die Ukraine, BeschwNr. 72.704/01).

Im Fall Zypern gegen die Türkei ha es der EGMR im Urteil vom 10.5.2001 abgelehnt, allein aufgrund von Spekulationen über den Verbleib griechischer Zyprioten eine Verletzung dieses Artikel anzunehmen.

Zwangs- und Pflichtarbeit setzt neben dem Zwangcharakter das Element der Ungerechtigkeit oder Unterdrückung voraus, weswegen in Fällen der Inpflichtnahme von Rechtsanwälten und Ärzten zur Sicherstellung eines fairen Gerichtsverfahrens und der medizinischen Versorgung aufgrund von Dienstpflichten Angehöriger freier Berufe keine Verletzung dieser Bestimmung gesehen wurde (EGMR A-70, Van der Mussele). Zwangs- und Pflichtarbeit liegt nicht vor, wenn die Pflichten die Folge eines frei gewählten Berufes sind, relativ geringe Bedeutung haben und im Rahmen der beruflichen Tätigkeit üblich sind (dort: 750 Stunden entschädigungslos zu erbringende Pflichtverteidigungen im Rahmen der Berufsausbildung zum Rechtsanwalt).  Kein Ungleichgewicht zwischen den Vorteilen des künftigen Berufs und dieser entschädigungslosen Dienstleistungen.

Die in Abs. 3 vorgesehenen Ausnahmen schränken dieses Recht nicht ein sondern stecken dessen Inhalt ab und dienen als Interpretationshilfe (EuGRZ 1985, 477 sowie ÖJZ 1995, 148).

Die Verpflichtung eines Richters, unter gewissen Umständen einen anderen Richter zu vertreten, fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art 4 EMRK (EKMR vom 29.6.1994, ÖJZ 1995, 116).

Weisungen zur Arbeitsleistung nach den §§ 50ff. StGB, die der Resozialisierung dienen, fallen unter die Ausnahmebestimmung des Abs.3 lit.a EMRK (OGH vom 17.2.1993, 13 Os 130/93 sowie EGMR im Fall Droogenbroeck vom 24.6.1982, EuGRZ 1984, 6).

Art. 4 Abs.3 EMRK enthält Interessen des Gemeinwohls sowie gesellschaftlicher Solidarität.

Wenn die Inhaftierung selbst gesetzmäßig ist, stellt die Arbeitsverpflichtung von Gefangenen keine Verletzung des Art. 4 EMRK dar und es sich um „überlicherweise“ verlangte Arbeiten handelt. Dies ist aber bei Untersuchungshäftlingen fraglich (vgl. dazu die so genannten Landstreicherfälle EGMR A-12, De Wilde, Ooms und Versyp).

Die EMRK enthält keinen Anspruch auf Entlohnung für die Arbeitsleistung Gefangener (EKMR YB 11, 528).

Militär(Präsenz)dienstpflicht (allgemeine Wehrpflicht) stellt keinen Verstoß gegen Art. 4 EMRK dar (soweit diese gesetzlich gedeckt ist: VfSlg. 7149); Wehrdienst und Wehrersatzdienst (Zivildienst) ist eine Dienstleistung iSd Art.4 Abs.3 lit.b EMRK (VfSlg. 17.341 sowie VfGH vom 15.10.2005, B 360/05).

Art. 4 Abs.3 lit.b EMRK enthält keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten des Europarates, einen Ersatzdienst (Zivildienst) zu ermöglichen (X gegen Österreich EKMR CD 43, 161 und A gegen die Schweiz; das Recht nach Art. 9 EMRK – Religions- und Gewissensfreiheit ist davon aber zu trennen).

Auch zivile Notstandspflichten der Bürger stellen keine Verletzung dieses Artikels dar, wobei hiefür kein den ganzen Staat betreffender Notstand Voraussetzung für diese Pflichten ist.

Zu den allgemeinen Bürgerpflichten zählt z.B. der Hand- und Zugdienst für Gemeindeerfordernisse (VfSlg. 13.185), die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei der Einhebung der Lohnsteuer (VfSlg. 6425 und 6755) und die Pflicht zur Verbringung des Müllbehälters zur nicht zu weit entfernten Abfuhrstelle (VfSlg. 11.198).

Die Pflicht des Arbeitgebers zur Abfuhr von Steuern und Sozialabgabe ist eine allgemeine, übliche Bürgerpflicht (EKMR DR 7, 148 und 151 im Fall Four Companies sowie VfSlg. 6425, 7158, 7975 und 10.213).

Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 11.10.2007 im Fall Stummer gegen Österreich, BeschwNr. 37.452/02:

Abweisung des Antrags auf Gewährung der Pension die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter nach § 236 ASVG, weil das Mindestmaß der Beschäftigung von 240 Monaten nicht erreicht sei, weil der Beschwerdeführer im wesentlichen nur in der Strafhaft gearbeitet hat, nicht aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses. Klage bei ASG Wien mit der Begründung, dass die Arbeit in der Dauer von 28 Jahren als Strafgefangener zu den Versicherungsmonaten zählen müssen. Abweisung der Klage und der gegen das Urteil erhobenen Berufung durch das OLG Wien.  Der OGH hat die Revision am 12.2.2002 abgewiesen.

In seiner Beschwerde an den EGMR geht der Beschwerdeführer davon aus, dass eine Unterscheidung zwischen der Arbeitsleistung eines Gefangenen und jener in Freiheit nicht sachlich ist.

Zulässigkeit der Beschwerde.

 

Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 7.7.2011: kein Anspruch auf Alterspension. Zwar Pflicht zur Arbeit nach § 44 Abs.1 StVG und kranken- sowie unfallversichert, nicht aber in das System der Alterspension aufgenommen. Diese Arbeit ist durch Art.4 Abs.3 lit.a EMRK gedeckt.

 

Urteil des EGMR vom 9.2.2016 im Fall Meier gegen die Schweiz, BeschwerdeNr. 10.109/14:

Zwangsarbeit eines Strafgefangenen nach Erreichen des Pensionsalters; keine Beschwerde zu den Umständen der zugeteilten Arbeit, daher keine Verletzung des Art.4 EMRK.

 

Urteil des EGMR in den Fällen C.N. und V. gegen Frankreich vom 11.10.2012, BeschwerdeNr. 67.724/09

Verletzung des Art.4 EMRK

 

Urteil des EGMR vom 18.10.2011 im Fall Graziani-Weiss gegen Österreich, BeschwerdeNr. 31.950/06

keine Verletzung des Art.4 EMRK, auch nicht iVm Art.14 EMRK

Bei der Wahl des Berufes des Rechtsanwalts musste sich der Beschwerdeführer darüber im Klaren sein, dass er zu Sachwalterschaften verpflichtet wird, weswegen seine Einwilligung dazu anzunehmen ist. In den Rz. 36 - 38 fasst der EGMR seine bisherige Rechtsprechung zu Art.4 EMRK zusammen (AnwBl. 2012, 351).

 

Urteil des EGMR vom 18.7.1994 im Fall Karlheinz Schmidt gegen Deutschland, BeschwerdeNr. 13.580/88

keine Verletzung des Art.14 iVm Art.4 Abs.3 lit.d EMRK

 

Urteil des EGMR vom 23.11.1983 im Fall Mussele gegen Belgien, BeschwerdeNr.8919/80

keine Verletzung des Art.4 EMRK, auch nicht iVm Art.14 EMRK

 

 

E M R K Art. 4
dr.postlmayr@aon.at RA Dr. Postlmayr

 

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