Geschichtliche Entwicklung der EMRK

 

Erste Anläufe für eine Menschenrechtskonvention gab es auf dem Europakongress 1948.

Nur zweieinhalb Jahre später ist die EMRK unter dem Einfluss der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) unterzeichnet worden.

Jedoch sollte die EMRK nicht nur empfehlenden Charakter erhalten sondern die Vertragsstaaten verpflichten.

Am 19.9.1946 hielt Winston Churchill an der Uni Zürich einen Vortrag, in welchem er für eine Einrichtung plädierte, welche „Vereinigte Staaten von Europa“ heißen könnte.

Ein halbes Jahr danach wurde mit seiner Unterstützung die Europäische Einigungsbewegung gegründet.

Am Europakongress im Mai 1948 nahmen 650 Politiker (die wenigsten davon waren Regierungsvertreter) fast aller europäischen Länder teil – Forderung der politischen Einheit Europas, Schaffung eines Europarates und einer Menschenrechtkonvention als Grundlage der zukünftigen Gemeinschaft. Es wurde eine Kommission eingerichtet, welche die Menschenrechtskonvention entwerfen sollte.

Mit Bezugnahme auf die im Dezember 1948 beschlossene AEMR wurde gefordert, dass es nicht nur der Proklamierung von Rechten bedarf sondern eines entsprechenden Rechtsschutzes.

Der Konventionsentwurf wurde dem vorläufigen Ministerkomitee des Europarates im Juni 1949 vorgelegt.

Schließlich begnügte man sich nicht mit einer Liste der Menschenrechte, diese sollten auch entsprechend definiert werden.

Die EMRK (Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten) wurde am 4.11.1950 in Rom in der 6. Sitzung des Ministerkomitees unterzeichnet und ist am 3. September 1953 (nach Ratifikation durch 10 Mitgliedstaaten) in Kraft getreten (in Österreich am 3.9.1958, zwei Jahre nach Aufnahme in den Europarat, BGBl. 210/1958); seit BGBl. 59/1964 ist die EMRK und deren 1. ZP in Verfassungsrang; die nachfolgend ratifizierten ZP (Zusatzprotokolle) wurden ebenfalls in Verfassungsrang erlassen.

Zivile und politische Rechte und Freiheiten finden sich darin, ebenso ein System für deren Durchsetzbarkeit gegenüber den Mitgliedstaaten.

Das Ministerkomitee hat am 4.11.1950 aber auch beschlossen, ein Zusatzprotokoll auszuarbeiten, das die bislang strittigen und daher nicht in die Konvention aufgenommenen Rechte regeln sollte (Eigentumsgarantie, Elternrecht, politische Bürgerrechte).

Das Vereinigte Königreich hat die EMRK als erster am 8.3.1951 ratifiziert, dann folgten Norwegen, Schweden, die BRD,  Irland und Griechenland, welches zwischen 1971 und 1974 ausgetreten war.

Drei Organe wurden eingerichtet:

            Die Europäische Kommission für Menschenrechte (1954)

            Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (1959)

Das Ministerkomitee (bestehend aus den Außenministern der Mitgliedstaaten)

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Ein Mitgliedstaat konnte danach Beschwerde gegen einen andern Mitgliedstaat wegen Verletzung von Konventionsrechten einlegen.

Die Individualbeschwerde war nur möglich, wenn der jeweilige Mitgliedstaat diese zugelassen hat.

Die Kommission prüfte die Beschwerde auf  ihre Zulässigkeit, kam es zu keiner gütlichen Einigung, erstellte sie einen Bericht, der dem Ministerkomitee übergeben wurde. Binnen drei Monaten konnte die Kommission und der Mitgliedstaat den Fall vor den Gerichtshof bringen; dies war Einzelpersonen nicht möglich.

Wurde der Fall nicht an den Gerichtshof herangetragen, entschied das Ministerkomitee über die Frage des Vorliegens einer Konventionsverletzung und sprach allenfalls eine gerechte Entschädigung zu. Dieses überwachte auch die innerstaatliche Umsetzung der Urteile des Gerichtshofs.

Seither kam es zur Verabschiedung von 14 Zusatzprotokollen (ZP).

Weitere Rechte und Freiheiten sind in den Zusatzprotokollen Nr. 1, 4, 6, 7, 12 und 13 enthalten, das 2. ZP ermächtigt den GH, Gutachten zu erstellen. Seit dem 9. ZP können Individualbeschwerden vor den GH gebracht werden, wenn der jeweilige Mitgliedstaat dieses ratifiziert hatte und ein Richterausschuss dem zustimmte.

Der rasante Anstieg der Anzahl der (registrierten) Beschwerden (1981: 404; 1997: 4750) und die vor dem GH gebrachten Fälle (1981: 7 und 1997: 119) machte eine Reform des Verfahrens notwendig.

Am 11.5.1994 wurde das 11. Zusatzprotokoll in Straßburg von allen Mitgliedern des Europarate (ohne Italien) unterzeichnet, welches am 1.11.1998 (bei einer einjährigen Übergangsfrist – Weiterbehandlung der bis dahin zulässig erklärten Beschwerden durch die Kommission)  in Kraft trat und einen einzigen ständig tagenden Gerichtshof schuf. Ziel: Verkürzung der Verfahrensdauer vor dem GH und Abschaffung der Rechtsprechung des Ministerkomitees, dieses ist nur mehr für die Überwachung der Durchführung der Rechtsprechung des Gerichtshofes zuständig.

Der Beschwerdeführer kann nun den Gerichtshof direkt und als einziges Konventionsorgan anrufen; die bisher von der Kommission wahrgenommenen Aufgaben wurden von Dreirichter-Ausschüssen des GH übernommen. Es ist beabsichtigt, die Verfahrensdauer in absehbarer Zeit auf zwei Jahre zu verkürzen.

Das Protokoll Nr.11, in Österreich kundgemacht durch BGBl.Nr. 30/1998, hat eine völlige Umstrukturierung des Rechtsschutzes der Konvention gebracht.

Der GH tagt nun ständig und ist mit hauptberuflichen Richtern besetzt. Alle (damals) 40 Mitgliedstaaten stellen einen Richter, welcher über Dreiervorschläge der Regierungen von der parlamentarischen Versammlung für eine Amtsdauer von sechs Jahren bestellt werden und bis zu einer Altersgrenze von 70 Jahren wiederwählbar sind.

Der GH tagt in Kammern von sieben Richtern, die große Kammer umfasst 17 Richter, die Ausschüsse drei und fünf Richter.

An den materiellen Bestimmungen (EMRK 1950 und die Zusatzprotokolle 1, 4, 6 und 7) hat sich dadurch nichts geändert, die verfahrensrechtlichen Protokolle Nr. 2, 3, 5 und 8 wurden in den neuen Text der Konvention eingebaut. Das Protokoll Nr. 9 ist hinfällig geworden.

Beschwerden sind jetzt direkt an den GH zu richten. Jede Person, Organisation oder Personenvereinigung, die sich in einem garantierten Recht verletzt erachtet, kann Beschwerde an den GH erheben.

Die neue Verfahrensordnung ist in deutscher Übersetzung in Österreich im BGBl. III Nr. 13/2000 kundgemacht.

Die Amtssprachen des GH sind Englisch und Französisch. Beschwerden können aber in allen Amtssprachen der Mitgliedstaaten eingebracht werden.

Im fortgeschrittenen Verfahrensstadium wird nur mehr in der schon in der Beschwerde zu wählenden Amtssprache des GH korrespondiert, wobei der Beschwerdeführer aber weiterhin berechtigt ist, seine Sprache beizubehalten, lediglich in der mündlichen Verhandlung wird im Sinne der getroffenen Wahl nur englisch oder französisch gesprochen.

In den darauf folgenden Jahren hat die Anzahl der Beschwerden exorbitant zugenommen. Allein zwischen 1998 (5979 Beschwerden) und 2001 (13858 Beschwerden) stieg der Anfall um 130%.

In der Ministerkonferenz in Rom im November 2000 wurde das Ministerkomitee in einer Resolution aufgefordert, binnen kürzester Zeit vertiefte Überlegungen anzustellen, welche Möglichkeiten es gibt, die Arbeitsfähigkeit des Gerichtshofs zu erhalten.

Im 14. Zusatzprotokoll (Straßburg, 13.5.2004) soll hiefür Abhilfe geschaffen werden:

Dieses tritt nach Ratifikation durch alle 46 Mitgliedstaaten in Kraft, wahrscheinlich in Kürze.

Damit soll eine wesentlich bessere Bewältigung des Beschwerdeanfalls gesichert werden.

Anstatt wie bisher vom Drei-Richter-Ausschuss wird die Zulässigkeitsprüfung in einfach gelagerten Fällen nun vom Einzelrichter vorgenommen. Eine weitere (nicht unproblematische) Bedingung für die Zulässigkeit der Beschwerde ist nun, dass der Beschwerdeführer durch die Konventionsverletzungen einen wesentlichen Nachteil erlitten haben muss. Dies lässt nach Ansicht des Homepagebetreibers RA Dr. Postlmayr eine Aushöhlung und Einschränkung des Beschwerderecht befürchten, zumal dieser Begriff einerseits erst einer Definition bedarf, andererseits das Vorliegen einer Konventionsverletzung bisher davon nicht abhängig war und daher bei konventionsgezielter Handhabung kaum eine Verringerung der Arbeitsbelastung des Gerichtshofes mit sich bringen kann, weil ein Konventionsverletzung nie einen nicht wesentlichen Nachteil darstellen kann, weil die EMRK lediglich die Mindeststandards festlegt.

Vereinfachte und summarische Verfahren sollen nun bei den Wiederholungsfällen (repetitive cases) möglich sein: bei gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs entscheidet nun ein Dreiersenat anstatt der Kammer mit sieben Mitgliedern.

Da nun dem Ministerkomitee ein Klagerecht gegen die säumigen Mitgliedstaaten zusteht, wird die Verpflichtung zur Beachtung der Rechtsprechung verstärkt.

Nun werden die Richter des EGMR für neun Jahre bestellt, allerdings ohne Verlängerungsmöglichkeit.

Änderungen betreffend Rechte und Freiheiten der EMRK finden sich darin nicht.

Folgende Artikel der EMRK werden geändert:

Art. 22 (Aufhebung des Abs.2), 24, 25, 26, 27, 28, 29, 31, 32, 35 (erheblicher Nachteil durch die Konventionsverletzung), 36, 39, 46 (Durchführung, Verbindlichkeit bzw. Vollzug der Urteile) und 59 Abs.2 (Beitrittsrecht der EU).

Malta hat am 4.10.2004 gleichzeitig mit der Unterzeichnung als erster ratifiziert.

Österreich hat das 14. ZP am 10.11.2004 unterzeichnet und am 23.1.2006 ratifiziert.

Die Schweiz hat das 14. ZP am 13.5.2004 unterzeichnet und am 25.4.2006 ratifiziert.

Die BRD hat das 14. ZP am 10.11.2004 unterzeichnet und am 11.4.2006 ratifiziert.

Zuletzt haben die Türkei (2.10.2006) und Polen (12.10.2006) ratifiziert, als letzter Mitgliedstaat Russland (18.2.2010),

weswegen das 14. ZP am 1.6.2010 in Kraft getreten ist.

 

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Der Einfluss der EMRK auf das Gemeinschaftsrecht:

Der EG-Vertrag enthielt zwar eine Reihe von Marktfreiheiten aber keinen Grundrechtskatalog. Die Grundrechte der Person wurden aber bereits im Fall Stauder (EuGH Slg. 1963, 1, 25) als allgemeine Grundsätze der Gemeinschaftlichen Rechtsordnung bezeichnet. Es sei von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen, Auslegungskriterien könnten sich aus der EMRK ergeben, welcher der Mitgliedstaat beigetreten ist (EuGH Slg. 1974, 491 § 13 – Nold). Diese Zurückhaltung ist darauf zurückzuführen, dass damals noch nicht alle EG-Staaten der EMRK beigetreten waren. Die Akzeptanz der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR und der Kommission hat sich in der Folge erheblich gesteigert. Schon im Jahr 1986 hat der EuGH im Fall Johnston (EuGH Slg. 1986, 1651 § 18) erkannt, dass die leitenden Grundsätze der Konvention zu berücksichtigen sind und in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als rechtens erkannt werden können, die damit nicht vereinbar sind. Nach herrschender Meinung stellt heute die EMRK eine privilegierte Erkenntnisquelle für die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundrechten dar und beruft sich auf die Rechtsprechung des EGMR (EuGH Slg. 1997-I, 3689, § 26 – Familiapress). Einen Meilenstein stell die gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 5.4.1977 zum Grundrechtsschutz der EG dar, in welcher die herausragende Bedeutung der Grundrechte in den Verfassungen der Mitgliedstaaten und der EMRK hervorgehoben und erklärt wird, diese zu beachten.  Schon 1979 befürwortet eine Resolution des Parlaments den Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK (Text in: EuGRZ, 257). Im Vertrag von Maastricht 1992 wurde die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte, wie sie die EMRK und die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten vorsieht, förmlich in das Unionsverfassungsrecht aufgenommen.

Art. 6 Abs.2 EUV (Vertrag über die Europäische Union) enthält nicht nur für die Organe der EU und der EG die Pflicht, die EMRK zu beachten, sondern nach Lehrmeinung auch für die Mitgliedstaaten, wobei umstritten ist, ob damit die EMRK als „Rechtserkenntnisquelle“ zur „Rechtsquelle“ geworden ist, wenn sich damit auch daran nichts geändert hat, dass die Gemeinschaftsorgane der EMRK nicht unterstehen, daran könnte nur der Beitritt der Union zur EMRK etwas ändern (siehe wie oben Art. 59 Abs.2 des 14. ZP zur EMRK – Möglichkeit des Beitritts der EU zur EMRK).

Der Vertrag über die Verfassung für Europa sieht vor, dass die EU den Beitritt zur EMRK anstrebt, mit der Verfassung soll auch die Charta der Grundrechte der EU vom 7.12.2000 in die Verfassung aufgenommen werden, welche derzeit (nur) den Status eines politisch verbindlichen Dokuments hält.

Besonders bedeutsam ist dabei, dass nach Art. 53 der GRC (Grundrechte-Charta der EU), deren Anwendung und Auslegung nicht hinter dem Schutzniveau der EMRK zurückbleiben darf.

Vgl. dazu auch EuGH vom 16.6.2005 in Fall Maria Pupino, C-105/03, zu den Grundrechten der EG bzw. EU sowie Art. 10 und 307 Abs.1 EGV und Art. 31 Abs.3 lit.c der Wiener Vertragsrechtskonvention, ebenso den EVV (Vertrag über die Europäische Verfassung).

 

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